Sarah Stalder

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Dies ist ein Blogbeitrag in der Serie «Best Practice Wissenschaftskommunikation»
Autorin: Yvonne Schweizer

Steckbrief HassbilderDas Forschungsprojekt des Instituts für Kunstgeschichte der Universität Bern sammelt die Erinnerungen der Bieler:innen zur Geschichte der Schweizerischen Plastikausstellung. 2023 ging die Crowdsourcing-Webseite publics-arts.ch online. Ausgewählte Einsendungen wurden in die Ausstellung Re/Sculpture im NMB Neues Museum Biel aufgenommen. Das Projekt läuft bis August 2026 und wird gefördert vom SNF.

 

Crowdsourcing in den Geisteswissenschaften

Welche Nutzungen und Umnutzungen finden an Kunst im öffentlichen Raum statt? Wie kann eine Ausstellung zu Skulptur im öffentlichen Raum aus der Sicht des Publikums erzählt werden? Diese Fragen beschäftigen ein Forschungsteam von Kunsthistoriker:innen der Universität Bern, das dafür das partizipative Citizen Archive publics-arts.ch gestartet hat. Anlass dazu gibt ein Forschungsprojekt zur Schweizerischen Plastikausstellung, der grössten und ältesten Ausstellungsreihe zur Skulptur im öffentlichen Raum. Sie findet seit 1954 in regelmässigen Abständen im Freien in Biel/Bienne statt. 

Die Webseite richtet sich an die Bieler Zivilgesellschaft, die in mehreren aufeinander aufbauenden Medienkampagnen und Kulturanlässen dazu aufgerufen wurde, ihre Erinnerungen an die Geschichte der Schweizerischen Plastikausstellung zu teilen. Hochgeladen werden können alle Dateiformate: Fotografien, Texte, Audiobeiträge, Zeitungsausschnitte, Filme – alles, was sich in privaten Alben und Kisten auf dem Estrich finden lässt.

Partnerin des Projekts ist das NMB Neues Museum Biel unter der Leitung von Bernadette Walter, mit deren Team 2024 die Retrospektive Re/Sculpture zu 70 Jahren Schweizerische Plastikausstellung umgesetzt wurde (Abb. 1). Ausgewählte Einsendungen aus dem Citizen Archive waren in die Ausstellung integriert. Sie erhielten Sichtbarkeit über die Webseite hinaus. Einzelne Zusendungen beeinflussten die Ausrichtung der Themenschwerpunkte von Re/Sculpture.  So machte uns Annelise Zwez per Audiobeitrag mit ihren Thesen zum Gender Gap der Ausstellungsreihe vertraut. Ihr Beitrag war schliesslich in der Ausstellung zu hören. Auf diese Weise ist die Stadtbevölkerung in die Geschichtsschreibung eingebunden. Citizen Science wird somit unter dem Aspekt eines Co-Designs von Wissenschaft verstanden.

Im Folgenden werden die einzelnen Projektetappen mit den jeweiligen Kommunikationsstrategien vorgestellt.

Von der Idee...

Ziel des Forschungsprojekts ist die erstmalige Bearbeitung des Archivs der ältesten und bedeutendsten Ausstellungsreihe zur Skulptur im öffentlichen Raum der Schweiz. Über die mehrmonatige Laufzeit ist die Schweizerische Plastikausstellung besonders niedrigschwellig zugänglich, denn sie findet traditionell nicht in Kunstinstitutionen, sondern auf offener Strasse und mitten im Stadtzentrum statt. Entsprechend ist ihr Publikum besonders divers: von interessierten Kunstbesucher:innen über zufällig Hineingeratende bis hin zu begeisterten Fans oder empörten Mitbürger:innen. Jede:r Bieler:in entwickelt eine starke Meinung zur jeweiligen Ausgabe. Viele brachten sich in der Vergangenheit in die Umsetzung selbst mit ein, so dass die Ausstellungsreihe auch ein wichtiger Faktor des gesellschaftlichen Zusammenhalts in der vielsprachigen Stadt Biel/Bienne geworden ist. Besonders deutlich zeigte sich das zivilgesellschaftliche Potential anlässlich Thomas Hirschhorns Robert Walser-Sculpture auf dem Bahnhofsplatz, der bis dato letzten Ausgabe der Schweizerischen Plastikausstellung. Über den Sommer 2019 hatten der Künstler, lokale Vereine, Initiativen sowie die Bieler:innen gemeinsam einen Begegnungsort im Freien errichtet.

Erste Stichproben im Archiv zeigten, dass zahlreiche administrative Unterlagen erhalten waren – darunter Rechnungen, Sitzungsprotokolle, Zeitungsausschnitte, der Briefverkehr mit Künstler:innen sowie Auftragsfotografien der Ausstellung. Wie sich jedoch das Publikum gegenüber der Ausstellungsreihe äußerte, welche Perspektive Besuchende einnahmen und welche Eindrücke sie fotografisch festhielten, ergab sich in den meisten Fällen nicht aus dem offiziellen Archiv zur Ausstellung. Deshalb war im Forschungsdesign ein Citizen Science-Teilprojekt vorgesehen, für dessen Umsetzung Ressourcen bei Förderinstitutionen angefragt und gesprochen wurden. Für die Programmierung der Webseite kooperierte das Forschungsteam mit Tobias Hodel, Professor und Leiter des Bereichs Digital Humanities an der Universität Bern.

...Zur Umsetzung

Mai 2023

Der Startschuss fiel mit der Aufschaltung der Crowdsourcing-Webseite publics-arts.ch.

Verbunden war der Launch mit einer aufwändigen Medienkampagne, die von der Universität Bern und der Stiftung Schweizerische Plastikausstellung mitgetragen wurde. Die Medienmitteilung zirkulierte via Twitter und konnte Berichterstattung beim SRF Kulturradio erzielen (Abb. 2). Das Forschungsteam war an zwei Sonntagen auf dem Bahnhofsplatz in Biel mit einer Selfie-Installation präsent und sprach Laufpublikum auf seine Erinnerungen an die Schweizerische Plastikausstellung an (Abb. 3). Der Anlass war in das Rahmenprogramm der Bieler Fototage eingebettet. Im Gespräch wurden Postkarten mit einem QR-Code zur Webseite verteilt. Das Projekt wurde auf der Webseite schweiz-forscht.ch gelistet . Es gab einen direkten Zusammenhang mit den Kommunikationsmassnahmen: Es liess sich beobachten, dass insbesondere die Berichterstattung in den klassischen Print- und Radiomedien Resonanz erzeugten. So kamen bis heute (Stand Mai 2025) rund 420 Beiträge zusammen.

Oktober 2023

Das Forschungsteam richtete im NMB den Anlass Bring Your Own Story im Zusammenhang mit dem UNESCO-Welttag des audiovisuellen Erbes und in Kooperation mit dem überregionalen Verein memoriav aus (Abb. 4). Im Foyer des Museums befand sich eine Scan-Station für Dias sowie eine Audiostation zur Aufnahme von Oral History-Beiträgen. In lokalen Zeitungsberichten war am Tag des Anlasses dazu aufgerufen worden, mit persönlichen Erinnerungsstücken ins Museum zu kommen . Rund zehn Personen kamen an diesem Nachmittag mit ihren privaten Fotosammlungen und Geschichten vorbei – da mit der Abgabe ein hoher Rechercheaufwand verbunden ist, darf die Anzahl Beitragende als Erfolg verbucht werden.

Per Postwurfsendung erhielten alle Haushalte Biel/Biennes Werbepostkarten mit dem QR-Code zur Webseite.

August 2024

Die Ausstellung Re/Sculpture. Die Schweizerischen Plastikausstellungen Biel eröffnete im NMB mit einem grossen Fest, zu dem alle Beitragenden eingeladen waren. Ins Museum kamen an diesem Tag 250 Gäste (Abb. 5).

In der Retrospektive waren rund 600 Objekte und Dokumente zu sehen. Museum- und Forschungsteam verantworteten die Kuration gemeinsam – in der Umsetzung wurden die Zusendungen der partizipativen Webseite berücksichtigt.

Das Ausstellungskonzept stellte zwei Lesarten gegenüber (Abb. 6):

  1. eine chronologische, die sich an den Fundstücken aus dem offiziellen Stiftungsarchiv orientierte;
  2. eine thematische, für die sich das Kuratorinnen-Team wesentlich auf die Zusendungen des Crowdsourcings stützte.

Partizipative Displays sollten für ein Update der Ausstellung während der Laufzeit sorgen. So waren die Besuchenden aufgefordert, Erinnerungsstücke an die Schweizerische Plastikausstellung in einer dafür vorgesehenen Vitrine zu deponieren. Eine Fotowand konnte um eigene Porträts ergänzt werden. Die Ausstellung schloss mit dem Verweis auf die Crowdsourcing-Webseite und die Bitte, digitale Souvenirs einzureichen – im Vergleich zu den Anlässen, die zu persönlicher Begegnung einluden, zeigte das jedoch leider keine direkte Wirkung.

Das Rahmenprogramm der Ausstellung umfasste zahlreiche partizipative Anlässe, zu denen die Erinnerungen des Publikums an die Ausstellungsreihe geteilt werden konnten: Partizipative Stadtrundgänge (Abb. 7), künstlerische Performances und Filmscreenings zu Biels Skulpturen im öffentlichen Raum, Workshops für Kinder und Jugendliche sowie die Wiederholung des Anlasses „Bring Your Own Story“.

Abb. 5 Abb. 7: Medienkampagne @ NMB, Carolin Beyer

Von Risiken...

Es zeigten sich im Laufe des Projekts spezifische Anforderungen, die nicht im Voraus planbar waren und besonders den Kunstbereich betreffen. Zum einen gilt bei fotografischen Zusendungen ein Schutz durch das Urheberrecht. Alle auf publics-arts.ch veröffentlichten Fotografien mussten vom Team geprüft werden und gegebenenfalls das Veröffentlichungsrecht bei den Künstler:innen oder deren Vertretungsberechtigten eingeholt werden. Es kam allerdings nur in Einzelfällen vor, dass dem Projektteam eine Veröffentlichung versagt blieb.

Zweitens setzt eine Kuration mit partizipativem Anteil Planung, aber auch Flexibilität in der Ausstellungsplanung voraus. Ein gewisser Unsicherheitsfaktor in der Planung der Ausstellung war etwa, wie viele Crowdsourcing-Einsendungen berücksichtigt werden können. De facto erreichten das Team bis kurz vor Ausstellungsbeginn Erinnerungsstücke und das Organisationsteam musste flexibel reagieren.
Drittens zeigte die Beteiligung an den partizipativen Displays besonders dann einen Effekt, wenn sie in Verbindung mit Anlässen im Rahmenprogramm standen oder aufgrund von persönlichem Austausch angeregt wurden.

...Und Erkenntnissen

Wer Citizen Science betreibt, erhält in der Regel ein direktes Feedback zur eigenen Forschung, gerade wenn Anlässe zum persönlichen Austausch einladen. Daraus zog das Forschungsteam grosse Motivation. Unbedingt zu empfehlen ist es, von Anfang an mit bestehenden Netzwerken und Initiativen vor Ort Kooperationen zu suchen. Die Anlässe im Rahmen von lokalen Kooperationen zeigten denn auch besonders signifikante Wirkung, insbesondere wenn damit eine Berichterstattung in Printmedien und Radio verbunden war.

Crowdsourcing zu Objekten ist mit einem Aufwand für die Citizen Scientists verbunden: Zusätzlich zum Rechercheaufwand müssen analoge Fotografien, Dias und Filme erst digitalisiert werden, bevor sie hochgeladen werden können. Aus unserer Erfahrung empfiehlt es sich, den Digitalisierungsschritt an Scan-Tagen anzubieten und den Citizen Scientists auf diese Weise ein digitalisiertes «Souvenir» zurückzugeben.

 

 

Veröffentlicht am 18. Juni 2025.

Abb. 1 Abb. 1: NMB Biel/Bienne, Ausstellung Re/Sculpture © Yvonne Schweizer
Abb. 2 Abb. 2: Medienkampagne zum Launch der Webseite im Mai 2023 © Tiziana De Silvestro
Abb. 3 Abb. 3: In Biel zum Launch der Webseite im Mai 2023 © Markus Schweizer
Abb. 4 Abb. 4: „Bring Your Own Story“ im NMB Biel/Bienne im Oktober 2023 © Markus Schweizer
Abb. 5 Abb. 5: Eröffnung „Re/Sculpture“ im August 2024 © NMB, Andreas Bachmann
Abb. 6 Abb. 6: Ausstellungsdesign „Re/Sculpture“ @ NMB, Patrick Weyeneth
Mittwoch, 21 Mai 2025 13:49

Citizen-Science-Projekt Thur

Hilf mit, die Artenvielfalt der Thur zu entdecken!

Gehen Sie mit uns auf eine Reise um die Welt und helfen Sie uns bei der Bestimmung von Tieren!

Samstag, 26 April 2025 08:38

Wild Mont Blanc

Join in via your smart phone to help identify animals in camera trap images taken across the Alps to help understand how climate change is affecting alpine species and environments.

What is the aim of the project?

Wild Mont-Blanc is a program developed by the Research Center for Alpine Ecosystems to measure how climate change is impacting different alpine environments, and understand how alpine species can (or cannot) adapt to their changing environment.

In this project, Zooniverse volunteers are helping by identifying emblematic species like chamois, ibex, marmot, snowshoe hare, deer, roe deer, alpine ptarmigan, and black grouse throughout the year and in all different climatic conditions from the base of the valley up to the high mountains.

Who can participate and how?

To participate in the project, all you need is internet access and a device (laptop, tablet, smart phone, etc.). Go to the project website and click on ‘Get Started’. There will be a short tutorial providing instructions on how to classify on the project. Take advantage of the ‘Talk’ discussion forum, if you have any questions and/or see something of interest that you want to spark a discussion with the research team around.

You can participate for as long as or as short as you’d like; i.e., 1 minute and 1 classification or a lifetime of participation. We welcome and appreciate any and all input!

What happens with the results?

All classifications are incorporated into the research team’s efforts to label the uploaded datasets. Each image is classified by many people and the results are aggregated to create a consensus result.

The research results are posted to here and shared with participants through newsletters and blog posts.

Participants can provide feedback through this link.

 

Samstag, 26 April 2025 08:13

Alpine Bug Shot

Join in via your smart phone to help identify insects from images across the Swiss Alps to help understand how climate change is affecting alpine plant-pollinator interactions.

What is the aim of the project?

Alpine Bug Shot is a research project studying how climate change is affecting alpine plant-pollinator interactions in the Swiss Alps. The team is testing new automated camera traps to monitor pollinators and examining whether the surrounding floral environment influences visitation rates to generalist versus specialist flowers.

In this project, Zooniverse volunteers are helping by identifying insects in field images, which will train AI models to analyze millions of additional frames. This work enables scientists to track ecological changes more efficiently and at a much larger scale.

Who can participate and how?

To participate in the project, all you need is internet access and a device (laptop, tablet, smart phone, etc.). Go to the project website and click on ‘Get Started’. There will be a short tutorial providing instructions on how to classify on the project. Take advantage of the ‘Talk’ discussion forum, if you have any questions and/or see something of interest that you want to spark a discussion with the research team around.

You can participate for as long as or as short as you’d like; i.e., 1 minute and 1 classification or a lifetime of participation. We welcome and appreciate any and all input!

What happens with the results?

All classifications are incorporated into the research team’s efforts to label the uploaded datasets. Each image is classified by many people and the results are aggregated to create a consensus result.

The research results are posted here and shared with participants through newsletters and blog posts.

Participants can provide feedback through this link.

Daten werden immer wichtiger in der heutigen Gesellschaft und ebenso in der Wissenschaft über alle Disziplinen hinweg. Auch deswegen gehört Open Research Data (ORD) in vielen Bereichen zur guten Praxis oder ist gar obligatorisch. Im Rahmen der ECSA hat sich gezeigt, dass sich auch die Citizen Science Community mit ORD beschäftigt. Das ist nicht überraschend, gelten doch beide Bereiche als wichtige Pfeiler von Open Science (im Sinne der UNESCO).

 

Julia Gantenberg (c) Andreas Caspari

 

Dr. Julia Gantenberg ist Wissenschaftskommunikatorin am Zentrum für Arbeit und Politik (zap) der Universität Bremen.
Sie ist langjährige Praxisexpertin und forscht zu Citizen Science, der Beteiligung von Forschenden an Wissenschaftskommunikation
sowie zu partizipativen Forschungs- und Bildungsformaten.

 

Sophia Segler (c) E.D.

Sophia Segler ist aktuell Sozialwissenschaftlerin am Zentrum für Arbeit und Politik (zap)
sowie am interdisziplinären artec Forschungszentrum Nachhaltigkeit, beide mit Standort an der Universität Bremen.
Ihr besonderes Interesse gilt der sozialwissenschaftlichen Forschung zur sozial-ökologischen Transformation
und der stärkeren Einbindung von Citizen Scientists in der Analyse von Daten aller Art.
 
 

Nikola hoch

Tizian Zumthurm ist Projektleiter im Programm Citizen Science bei Science et Cité. 

 

So fällt Citizen Science in Finnland unter das National Open Science and Research Monitoring. M. Kallio und J. Karlsson haben aufgezeigt, wie herausfordernd es ist, dazu geeignete Indikatoren zu definieren. Klare Messgrössen für Citizen Science sind schwieriger zu definieren als für Open Access oder ORD. Open Science in Finnland wird von der Federation of Finnish Learned Societies mit finanzieller Unterstützung des Ministeriums für Bildung und Kultur koordiniert, was durch Expert:innengremien und Arbeitsgruppen geschieht. Die Arbeitsgruppe für Citizen Science erforscht die Schnittstelle zwischen offener Forschung und Gesellschaft durch Citizen Science. Sie hat Empfehlungen formuliert, basierend auf einer Umfrage im Jahr 2021. Eine solche wird dieses Jahr erneut durchgeführt, um die Befunde aktuell zu halten und den Impact der Empfehlungen zu messen.

Insgesamt macht ORD die Forschung eher komplexer. Das gilt natürlich auch für Citizen Science. Die Datenanalyse erfordert noch mehr Interdisziplinarität und stellt neue Fragen betreffend Ethik und Fairness, wie im Rahmen des Workshops «Leveraging data science for change» (L. Tupikina et al.) unter anderem besprochen wurde. Zwar können Citizen-Science-Daten noch mehr Data Science ermöglichen. Es sollte aber vermehrt auch darum gehen, die Perspektive der Citizen Scientists auf diese Daten und ihre Analyse anzusteuern. Dafür braucht es unter anderem mehr Betreuung in Data Literacy.

In der D-A-CH AG beobachten wir, dass innerhalb der diversen Citizen Science Community kein einheitliches Verständnis davon besteht, was denn mit ORD genau gemeint ist: eine Online-Karte, eine Excel-Datei im Netz oder die Nutzung eines internationalen Repositoriums. Es besteht zwar Nachfrage vonseiten Projektleitenden zu Informationen zum Thema. Aber die praktischen und institutionellen Hürden, um ORD in die Praxis umzusetzen, sind beträchtlich, wie wir bei der Konzeption der Veranstaltungsreihe „Open Data in Citizen-Science-Projekten“ festgestellt haben. Das liegt unter anderem daran, dass Open-Data-Lösungen sehr (sub-)disziplin-spezifisch sind, die institutionellen und technischen Strukturen von Repositorien sehr komplex und viele davon wegen Anmeldung und Gatekeepern gar nicht wirklich offen zugänglich sind.

So stellt sich die Frage wie ORD dabei helfen kann, die demokratischen Versprechen von Citizen Science einzulösen (und umgekehrt). Im Grundsatz sollen Forschungsdaten nach den FAIR Prinzipien geteilt werden: Sie sollen auffindbar (findable), zugänglich (accessible), interoperabel (interoperable) und wiederverwendbar (reusable) sein. Diese Prinzipien wurden nicht spezifisch für Citizen Science erarbeitet, und es ist gar nicht so offensichtlich, wie man vielleicht meinen könnte, ob sie auch in diesem Bereich relevant sind. Inwiefern der Anspruch an FAIR-Daten für Citizen Science eine Rolle spielt bzw. inwiefern die FAIR Prinzipien auf Citizen Science übertragbar sind, wollen wir am Beispiel des Projekts „GINGER – Gemeinsam Gesellschaft erforschen“ kurz reflektieren. Dazu diskutieren wir, wo mögliche Probleme liegen, wie man sie lösen kann und was es dazu braucht.

Dazu wurde auf der ECSA der dialogische Workshop „Let’s talk about data – What makes good data interpretation“ angeboten, der auf Erfahrungen aus dem Format Public Data Sprint (vgl. Segler, Gantenberg 2023; inspiriert von der Royal Danish Library in Kopenhagen und Aarhus) aufbaute. Darauf basierend stellen wir einige Überlegungen an, wie die kollaborative Datenauswertung im sozialwissenschaftlichen Kontext gelingen kann und was damit verbundene Herausforderungen und Unterschiede zur fachwissenschaftlichen Datenauswertung sind. Diese Reflexionen aus der Praxis wenden wir im Folgenden kurz prüfend auf die FAIR-Prinzipien an.

Auffindbar: Oftmals wird durch Citizen Science z. B. durch Crowdsourcing ein eigener Datensatz generiert, der im besten Fall öffentlich zugänglich sein sollte. Dies kann eine Herausforderung darstellen, wenn mit sensiblen Daten gearbeitet wird, wie es z. B. in Citizen Social Science durch die vorhandene Nähe zum Untersuchungsgegenstand und anderer sozialer Dimensionen, wie der Schutz von Persönlichkeitsrechten, häufiger gegeben ist als z. B. beim Umwelt-Monitoring in naturwissenschaftlichen Citizen-Science-Projekten.

Zugänglich: In Bezug auf den Zugriff auf Daten wurde im ECSA-Workshop die Anwendbarkeit niedrigschwelliger und inklusiver Techniken diskutiert, die eine Kernhürde für partizipative Datenanalyse darstellt. Zu den leicht zugänglichen Software-Empfehlungen für die Datenanalyse mit Laien gehören beispielsweise die Open-Source-Programme JAMOVI (2024), Orange (Demsar 2013) oder das interaktive Datenportal des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FDZ-FGZ, 2024: Interaktive Indikatoren). Dagegen funktionieren die sozialwissenschaftlichen und digitalen Lern- und Analyseplattformen EPINetz, protestdata, sowie das interaktive FGZ-Cohesion-Panel bereits niedrigschwelliger für eine explorative Datenanalyse. Offene Programmierumgebungen, wie R, Shiny und Python, können zwar auch für partizipative Datenanalyse genutzt werden, erfordern aber didaktische Expertise und intensive Anleitung und Begleitung in der Bedienung. In jedem Fall müssen niedrigschwellige Plattformen zur Datenanalyse offen zugänglich sein und benötigen die Begleitung von Expert:innen aus statistischer Fachwissenschaft und Pädagogik sowie technische Pflege und Wartung.

Interoperabel: Für die partizipative Datenanalyse in Citizen Science wurde die Interoperabilität von den Workshopteilnehmenden auf der ECSA-2024 als wichtiges Prinzip anerkannt. Allerdings zeigt sich, dass für Citizen Science eine aufwändige Vorbereitung für möglichst verständliche und niedrigschwellige Arbeit an Datensätzen notwendig ist. Hierfür etwa müssen Metadaten erklärt werden, und auch, wie Daten und Tabellen überhaupt aufgebaut sind, wie diese gelesen und dann interpretiert werden. Denn es kann nicht von einem gemeinsamen Vokabular und Vorwissen über Datenverarbeitung und ihre Analyse ausgegangen werden. Dies bedingt eine umfangreiche Vorbereitung des Datenkorpus sowie eine radikale Reduktion der Komplexität der Arbeitsschritte.

Wiederverwendbar: Die Wiederverwendbarkeit von Daten stellt einen zentralen Aspekt dar, wie aus der Projekterfahrung von GINGER berichtet werden kann. Dieser wird nicht nur aus der Wissenschaft, sondern zusätzlich auch aus wissenschaftsexternen Bereichen, wie z. B. dem Journalismus, nachgefragt. Es zeigt sich, dass wissenschaftliche Infrastrukturen zur Datenspeicherung und -bereitstellung häufig noch nicht ausreichend über die Bedeutung von Citizen Science und ihrer Forschungstätigkeit aufgeklärt sind, und dadurch vor allem qualitative Citizen-Science-Daten nicht berücksichtigt werden können. Auch für die Citizen Scientists stellt die Wiederverwendbarkeit von Datensätzen ein Qualitätsmerkmal partizipativer Forschungsstrukturen dar. Dies sowohl, um sie für ihre Forschungsinteressen nutzen zu können und empirische Antworten zu finden, als auch, um existierende Forschungsaussagen selbst nachvollziehen zu können.

Resümierend lässt sich feststellen, dass die FAIR-Prinzipien auch für partizipative Forschung wichtig sind, jedoch hinsichtlich ihrer Relevanz für erfolgreiche Ko-Interpretation von Daten jeweils anders gewichtet werden müssen als für die Logiken der Fachforschung. Es zeigt sich, dass neben der fachlichen Expertise aus dem Feld des Forschungsgegenstands auch ein inklusiver, technischer und didaktischer Zugang zu den Daten entscheidende Erfolgsfaktoren für die Ko-Interpretation von Daten sind. Wir sehen das Potential partizipativer Datenanalyse auch darin, wesentlich zur Förderung kritischer und reflexiver Datenlesefähigkeit und somit zu Aspekten der Wissenschaftsmündigkeit beizutragen. Erst nachgeordnet zu möglichst niedrigschwelligen Datenzugängen für Citizen Scientists werden in der Logik partizipativer Dateninterpretation die Wiederverwendbarkeit, Auffindbarkeit und Interoperabilität relevant und tragen dann aber ebenso wichtig zur fachlichen Akzeptanz von partizipativer Dateninterpretation und Datensätzen bei. Diese Beobachtungen aus der Praxis des GINGER Projekts illustrieren, dass bei den FAIR Prinzipien ein wichtiger Aspekt von Open Science fehlt, der eigentlich auch für Open Research Data aber insbesondere für Citizen Science relevant ist: Daten müssen möglichst niedrigschwellig interpretierbar sein. An Public Data Sprints wird das offensichtlich.

Erstellt am 24. September 2024

Referenzen:

GINGER (Gemeinsam Gesellschaft erforschen), Citizen Social Sciences Project. Dr. Julia Gantenberg und Sophia Segler (Universität Bremen), Funded by the German Ministry of Research and Education, 2021 - 2024. https://www.uni-bremen.de/ginger/

EPINetz (Exploration politischer Informationsnetzwerke), Digitale Lern- und Rechercheplattform zur Exploration politischer Informationsnetzwerke. Michael Gertz (Universität Heidelberg) und Wolf Schünemann (Universität Hildesheim). Funded by Klaus Tschira Stiftung, gemeinnützige GmbH, 2021 - 2024. https://epinetz.de/

Forschungsdatenzentrum des Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (2024): Interaktive Indikatoren. https://fgz-risc-data.de/interaktive-indikatoren/

The jamovi project (2024). jamovi (Version 2.5) [Computer Software]. Retrieved from https://www.jamovi.orgb

Demsar J, Curk T, Erjavec A, Gorup C, Hocevar T, Milutinovic M, Mozina M, Polajnar M, Toplak M, Staric A, Stajdohar M, Umek L, Zagar L, Zbontar J, Zitnik M, Zupan B (2013) Orange: Data Mining Toolbox in Python, Journal of Machine Learning Research 14(Aug): 2349−2353.

Segler, S., & Gantenberg, J. (2023). Innovation Data Sprint in Citizen Social Sciences. In F. Heigl, O. Höhener, & D. Dörler (Hrsg.), Proceedings of the Austrian Citizen Science Conference 2023. Proceedings of Science, Sissa Medialab srl, Triest, Italien.

Royal Danish Library, About Data Sprint. (no date). https://datasprint.kb.dk/en/about-data-sprint

Montag, 19 Dezember 2022 08:52

Tizian Zumthurm

Coordinator of the Swiss Expert Group for Citizen Science

Science et Cité, Schweiz forscht / tous scientifiques

I am delighted to coordinate the collaborative efforts of the expert group to expand the potentials and limits of Citizen Science and to contribute to fresh and important ways of participatory knowledge production.

Donnerstag, 06 Oktober 2022 14:50

Partnerorganisationen

Das Geschäftstselle Citizen Science Schweiz arbeitet mit zahlreichen Partnerorganisationen zusammen, die auf nationaler und internationaler Ebene bei der Entwicklung und Förderung von Citizen-Science-Projekten aktiv sind.

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