Öffentlichkeiten der Kunst. Die Geschichte der Schweizerischen Plastikausstellung

Dies ist ein Blogbeitrag in der Serie «Best Practice Wissenschaftskommunikation»
Autorin: Yvonne Schweizer

Steckbrief HassbilderDas Forschungsprojekt des Instituts für Kunstgeschichte der Universität Bern sammelt die Erinnerungen der Bieler:innen zur Geschichte der Schweizerischen Plastikausstellung. 2023 ging die Crowdsourcing-Webseite publics-arts.ch online. Ausgewählte Einsendungen wurden in die Ausstellung Re/Sculpture im NMB Neues Museum Biel aufgenommen. Das Projekt läuft bis August 2026 und wird gefördert vom SNF.

 

Crowdsourcing in den Geisteswissenschaften

Welche Nutzungen und Umnutzungen finden an Kunst im öffentlichen Raum statt? Wie kann eine Ausstellung zu Skulptur im öffentlichen Raum aus der Sicht des Publikums erzählt werden? Diese Fragen beschäftigen ein Forschungsteam von Kunsthistoriker:innen der Universität Bern, das dafür das partizipative Citizen Archive publics-arts.ch gestartet hat. Anlass dazu gibt ein Forschungsprojekt zur Schweizerischen Plastikausstellung, der grössten und ältesten Ausstellungsreihe zur Skulptur im öffentlichen Raum. Sie findet seit 1954 in regelmässigen Abständen im Freien in Biel/Bienne statt. 

Die Webseite richtet sich an die Bieler Zivilgesellschaft, die in mehreren aufeinander aufbauenden Medienkampagnen und Kulturanlässen dazu aufgerufen wurde, ihre Erinnerungen an die Geschichte der Schweizerischen Plastikausstellung zu teilen. Hochgeladen werden können alle Dateiformate: Fotografien, Texte, Audiobeiträge, Zeitungsausschnitte, Filme – alles, was sich in privaten Alben und Kisten auf dem Estrich finden lässt.

Partnerin des Projekts ist das NMB Neues Museum Biel unter der Leitung von Bernadette Walter, mit deren Team 2024 die Retrospektive Re/Sculpture zu 70 Jahren Schweizerische Plastikausstellung umgesetzt wurde (Abb. 1). Ausgewählte Einsendungen aus dem Citizen Archive waren in die Ausstellung integriert. Sie erhielten Sichtbarkeit über die Webseite hinaus. Einzelne Zusendungen beeinflussten die Ausrichtung der Themenschwerpunkte von Re/Sculpture.  So machte uns Annelise Zwez per Audiobeitrag mit ihren Thesen zum Gender Gap der Ausstellungsreihe vertraut. Ihr Beitrag war schliesslich in der Ausstellung zu hören. Auf diese Weise ist die Stadtbevölkerung in die Geschichtsschreibung eingebunden. Citizen Science wird somit unter dem Aspekt eines Co-Designs von Wissenschaft verstanden.

Im Folgenden werden die einzelnen Projektetappen mit den jeweiligen Kommunikationsstrategien vorgestellt.

Von der Idee...

Ziel des Forschungsprojekts ist die erstmalige Bearbeitung des Archivs der ältesten und bedeutendsten Ausstellungsreihe zur Skulptur im öffentlichen Raum der Schweiz. Über die mehrmonatige Laufzeit ist die Schweizerische Plastikausstellung besonders niedrigschwellig zugänglich, denn sie findet traditionell nicht in Kunstinstitutionen, sondern auf offener Strasse und mitten im Stadtzentrum statt. Entsprechend ist ihr Publikum besonders divers: von interessierten Kunstbesucher:innen über zufällig Hineingeratende bis hin zu begeisterten Fans oder empörten Mitbürger:innen. Jede:r Bieler:in entwickelt eine starke Meinung zur jeweiligen Ausgabe. Viele brachten sich in der Vergangenheit in die Umsetzung selbst mit ein, so dass die Ausstellungsreihe auch ein wichtiger Faktor des gesellschaftlichen Zusammenhalts in der vielsprachigen Stadt Biel/Bienne geworden ist. Besonders deutlich zeigte sich das zivilgesellschaftliche Potential anlässlich Thomas Hirschhorns Robert Walser-Sculpture auf dem Bahnhofsplatz, der bis dato letzten Ausgabe der Schweizerischen Plastikausstellung. Über den Sommer 2019 hatten der Künstler, lokale Vereine, Initiativen sowie die Bieler:innen gemeinsam einen Begegnungsort im Freien errichtet.

Erste Stichproben im Archiv zeigten, dass zahlreiche administrative Unterlagen erhalten waren – darunter Rechnungen, Sitzungsprotokolle, Zeitungsausschnitte, der Briefverkehr mit Künstler:innen sowie Auftragsfotografien der Ausstellung. Wie sich jedoch das Publikum gegenüber der Ausstellungsreihe äußerte, welche Perspektive Besuchende einnahmen und welche Eindrücke sie fotografisch festhielten, ergab sich in den meisten Fällen nicht aus dem offiziellen Archiv zur Ausstellung. Deshalb war im Forschungsdesign ein Citizen Science-Teilprojekt vorgesehen, für dessen Umsetzung Ressourcen bei Förderinstitutionen angefragt und gesprochen wurden. Für die Programmierung der Webseite kooperierte das Forschungsteam mit Tobias Hodel, Professor und Leiter des Bereichs Digital Humanities an der Universität Bern.

...Zur Umsetzung

Mai 2023

Der Startschuss fiel mit der Aufschaltung der Crowdsourcing-Webseite publics-arts.ch.

Verbunden war der Launch mit einer aufwändigen Medienkampagne, die von der Universität Bern und der Stiftung Schweizerische Plastikausstellung mitgetragen wurde. Die Medienmitteilung zirkulierte via Twitter und konnte Berichterstattung beim SRF Kulturradio erzielen (Abb. 2). Das Forschungsteam war an zwei Sonntagen auf dem Bahnhofsplatz in Biel mit einer Selfie-Installation präsent und sprach Laufpublikum auf seine Erinnerungen an die Schweizerische Plastikausstellung an (Abb. 3). Der Anlass war in das Rahmenprogramm der Bieler Fototage eingebettet. Im Gespräch wurden Postkarten mit einem QR-Code zur Webseite verteilt. Das Projekt wurde auf der Webseite schweiz-forscht.ch gelistet . Es gab einen direkten Zusammenhang mit den Kommunikationsmassnahmen: Es liess sich beobachten, dass insbesondere die Berichterstattung in den klassischen Print- und Radiomedien Resonanz erzeugten. So kamen bis heute (Stand Mai 2025) rund 420 Beiträge zusammen.

Oktober 2023

Das Forschungsteam richtete im NMB den Anlass Bring Your Own Story im Zusammenhang mit dem UNESCO-Welttag des audiovisuellen Erbes und in Kooperation mit dem überregionalen Verein memoriav aus (Abb. 4). Im Foyer des Museums befand sich eine Scan-Station für Dias sowie eine Audiostation zur Aufnahme von Oral History-Beiträgen. In lokalen Zeitungsberichten war am Tag des Anlasses dazu aufgerufen worden, mit persönlichen Erinnerungsstücken ins Museum zu kommen . Rund zehn Personen kamen an diesem Nachmittag mit ihren privaten Fotosammlungen und Geschichten vorbei – da mit der Abgabe ein hoher Rechercheaufwand verbunden ist, darf die Anzahl Beitragende als Erfolg verbucht werden.

Per Postwurfsendung erhielten alle Haushalte Biel/Biennes Werbepostkarten mit dem QR-Code zur Webseite.

August 2024

Die Ausstellung Re/Sculpture. Die Schweizerischen Plastikausstellungen Biel eröffnete im NMB mit einem grossen Fest, zu dem alle Beitragenden eingeladen waren. Ins Museum kamen an diesem Tag 250 Gäste (Abb. 5).

In der Retrospektive waren rund 600 Objekte und Dokumente zu sehen. Museum- und Forschungsteam verantworteten die Kuration gemeinsam – in der Umsetzung wurden die Zusendungen der partizipativen Webseite berücksichtigt.

Das Ausstellungskonzept stellte zwei Lesarten gegenüber (Abb. 6):

  1. eine chronologische, die sich an den Fundstücken aus dem offiziellen Stiftungsarchiv orientierte;
  2. eine thematische, für die sich das Kuratorinnen-Team wesentlich auf die Zusendungen des Crowdsourcings stützte.

Partizipative Displays sollten für ein Update der Ausstellung während der Laufzeit sorgen. So waren die Besuchenden aufgefordert, Erinnerungsstücke an die Schweizerische Plastikausstellung in einer dafür vorgesehenen Vitrine zu deponieren. Eine Fotowand konnte um eigene Porträts ergänzt werden. Die Ausstellung schloss mit dem Verweis auf die Crowdsourcing-Webseite und die Bitte, digitale Souvenirs einzureichen – im Vergleich zu den Anlässen, die zu persönlicher Begegnung einluden, zeigte das jedoch leider keine direkte Wirkung.

Das Rahmenprogramm der Ausstellung umfasste zahlreiche partizipative Anlässe, zu denen die Erinnerungen des Publikums an die Ausstellungsreihe geteilt werden konnten: Partizipative Stadtrundgänge (Abb. 7), künstlerische Performances und Filmscreenings zu Biels Skulpturen im öffentlichen Raum, Workshops für Kinder und Jugendliche sowie die Wiederholung des Anlasses „Bring Your Own Story“.

Abb. 5 Abb. 7: Medienkampagne @ NMB, Carolin Beyer

Von Risiken...

Es zeigten sich im Laufe des Projekts spezifische Anforderungen, die nicht im Voraus planbar waren und besonders den Kunstbereich betreffen. Zum einen gilt bei fotografischen Zusendungen ein Schutz durch das Urheberrecht. Alle auf publics-arts.ch veröffentlichten Fotografien mussten vom Team geprüft werden und gegebenenfalls das Veröffentlichungsrecht bei den Künstler:innen oder deren Vertretungsberechtigten eingeholt werden. Es kam allerdings nur in Einzelfällen vor, dass dem Projektteam eine Veröffentlichung versagt blieb.

Zweitens setzt eine Kuration mit partizipativem Anteil Planung, aber auch Flexibilität in der Ausstellungsplanung voraus. Ein gewisser Unsicherheitsfaktor in der Planung der Ausstellung war etwa, wie viele Crowdsourcing-Einsendungen berücksichtigt werden können. De facto erreichten das Team bis kurz vor Ausstellungsbeginn Erinnerungsstücke und das Organisationsteam musste flexibel reagieren.
Drittens zeigte die Beteiligung an den partizipativen Displays besonders dann einen Effekt, wenn sie in Verbindung mit Anlässen im Rahmenprogramm standen oder aufgrund von persönlichem Austausch angeregt wurden.

...Und Erkenntnissen

Wer Citizen Science betreibt, erhält in der Regel ein direktes Feedback zur eigenen Forschung, gerade wenn Anlässe zum persönlichen Austausch einladen. Daraus zog das Forschungsteam grosse Motivation. Unbedingt zu empfehlen ist es, von Anfang an mit bestehenden Netzwerken und Initiativen vor Ort Kooperationen zu suchen. Die Anlässe im Rahmen von lokalen Kooperationen zeigten denn auch besonders signifikante Wirkung, insbesondere wenn damit eine Berichterstattung in Printmedien und Radio verbunden war.

Crowdsourcing zu Objekten ist mit einem Aufwand für die Citizen Scientists verbunden: Zusätzlich zum Rechercheaufwand müssen analoge Fotografien, Dias und Filme erst digitalisiert werden, bevor sie hochgeladen werden können. Aus unserer Erfahrung empfiehlt es sich, den Digitalisierungsschritt an Scan-Tagen anzubieten und den Citizen Scientists auf diese Weise ein digitalisiertes «Souvenir» zurückzugeben.

 

 

Veröffentlicht am 18. Juni 2025.

Abb. 1 Abb. 1: NMB Biel/Bienne, Ausstellung Re/Sculpture © Yvonne Schweizer
Abb. 2 Abb. 2: Medienkampagne zum Launch der Webseite im Mai 2023 © Tiziana De Silvestro
Abb. 3 Abb. 3: In Biel zum Launch der Webseite im Mai 2023 © Markus Schweizer
Abb. 4 Abb. 4: „Bring Your Own Story“ im NMB Biel/Bienne im Oktober 2023 © Markus Schweizer
Abb. 5 Abb. 5: Eröffnung „Re/Sculpture“ im August 2024 © NMB, Andreas Bachmann
Abb. 6 Abb. 6: Ausstellungsdesign „Re/Sculpture“ @ NMB, Patrick Weyeneth
Schlagwörter
  • wissenschaftskommunikation
  • kunstausstellung
  • skulptur


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